Der 17. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe hat am 22. August 2019 in zwei Berufungsverfahren betreffend Fahrzeuge, die mit einem von der Audi AG hergestellten, bisher noch nicht verstärkt im Fokus der Gerichte stehenden 3,0 l Motor (EU5- Norm) ausgerüstet sind, Hinweisbeschlüsse verkündet.
Die Kläger – Käufer eines gebrauchten Audi Q5 V6 3,0 I TDI, 176 kW bzw. eines Audi A 4 3,0 l TDI, 180 kW – verlangen von der Volkswagen AG Schadensersatz wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung in Höhe der bezahlten Kaufpreise gegen Rückgabe der im Jahr 2011 bzw. 2013 erworbenen Fahrzeuge.
Beide Kläger behaupten, auch die Motorsteuerung der 3,0 Liter Motoren ihrer Fahrzeuge sei mit unzulässigen Abschalteinrichtungen versehen. Dies führe zu einem Verstoß gegen die Zulassungsvorschriften sowie zu überhöhten Schadstoffemissionen im Straßenverkehr. Ein verpflichtender Rückruf von mit diesen Motoren mit der (streitigen) Bezeichnung EA897 oder EA896 (EU5-Norm) ausgestatteten Fahrzeugen durch das KBA liegt nicht vor. Gleichwohl hat sich der Hersteller bereit erklärt, die betroffenen Fahrzeuge diesbezüglich durch ein Softwareupdate ab Sommer 2016 zu optimieren.
Die Landgerichte Heidelberg und Karlsruhe haben die Klagen gegen die Volkswagen AG jeweils abgewiesen. Nach Auffassung des Landgerichts Heidelberg sind die Behauptungen des Klägers zum Vorhandensein einer Abschalteinrichtung nicht hinreichend konkret, nach Auffassung des Landgerichts Karlsruhe hat der Kläger im dortigen Verfahren nicht nachgewiesen, dass die Volkswagen AG Herstellerin des Motors ist und bei der behaupteten Manipulation beteiligt war.
Das Oberlandesgericht Karlsruhe wies darauf hin, dass eine Haftung der Volkswagen AG in beiden Verfahren in Betracht kommt, auch wenn sie nicht Herstellerin des jeweiligen Fahrzeugs oder Motors ist. Wie der 17. Zivilsenat bereits in seinem Urteil vom 18. Juli 2019 (Az. 17 U 160/18, veröffentlicht in juris) entschieden hat, können die Tragweite der Entscheidung über den Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Motortyp, der in einer großen Zahl von Fahrzeugen verschiedener Marken des Konzerns verbaut wird, die Ausnutzung des Vertrauens der Käufer in den Volkswagenkonzern und den ordnungsgemäßen Ablauf des Genehmigungsverfahrens sowie die in Kauf genommenen erheblichen Folgen für die Käufer in Form der drohenden Stilllegung der erworbenen Fahrzeuge zur Sittenwidrigkeit der Entscheidung der Volkswagen AG im Sinne des § 826 BGB führen.
Daher ist in beiden Fällen ein Sachverständigengutachten zu der bestrittenen Behauptung einzuholen, auch der 3,0 l Motor (EU5-Norm) enthalte eine Software, die den Rollenprüfstand erkennt und in einen optimierten Betriebsmodus schaltet, um so die Grenzwerte dort einzuhalten, der aber im Straßenverkehr nicht aktiv ist.
Zu der Behauptung, die Motorsteuersoftware enthalte eine Abschaltvorrichtung in Form eines sog. Thermofensters, das die Abgasrückführungsquote temperaturabhängig steuere und ebenfalls unzulässig sei, muss nach Auffassung des Senats die Volkswagen AG noch Näheres vortragen. Denn bereits der im Rahmen der Tests der Untersuchungskommission „Volkswagen“ des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur ermittelte Stickoxidwert dieses Motors war im Straßenverkehr knapp 6,2-fach überhöht, was für ein differenziertes Abgasmanagement spricht. Zudem hat auch diese Kommission bereits Zweifel an der Zulässigkeit des von der Volkswagen AG nicht in Abrede gestellten Thermofensters geäußert.
Deshalb geht der Senat in den vorliegenden Fällen von einer Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters aus. Dass eine solche Einrichtung ausnahmsweise aus Gründen des Motorschutzes zulässig ist, muss nach Ansicht des Senats durch die Volkswagen AG dargelegt und bewiesen werden. Da es für die weitere Beurteilung auf die konkrete Ausgestaltung des Thermofensters ankommt, hat die Volkswagen AG daher detailliert darzulegen, in welchen Temperaturbereichen die Abgasrückführung in welcher Weise angepasst wird. Sodann ist ggfs. zu der Behauptung, diese Ausgestaltung sei zum Motorschutz notwendig und dieser nicht anders sicherzustellen, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Sofern das Thermofenster unzulässig sein sollte, kann dann anhand dessen konkreter Ausgestaltung festgestellt werden, ob es sich um einen bloßen Irrtum über die Zulässigkeit gehandelt hat oder um ein vorsätzliches Erschleichen der EU-Typengenehmigung, das ggfs. bei entsprechendem Wissen der Entscheidungsträger zu einer Haftung nach § 826 BGB führen kann.
OLG Karlsruhe, Hinweisbeschlüsse vom 22.08.2019:
17 U 257/18, Vorinstanz: LG Heidelberg
17 U 294/18, Vorinstanz: LG Karlsruhe
[PM OLG KA vom 22.08.2019]