Der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe, Zivilsenate in Freiburg, hat die Ver­urtei­lung der Herstellerin und Importeurin einer Großkopf-Hüfttotalendoprothese, die dem Kläger im Jahre 2005 implantiert wurde und die Metall aus dem Konusadapter abgab, durch Urteil vom 08.06.2020 bestätigt.

Der Kläger hat wegen der aus der Konusverbindung der Prothese stammenden Metallabscheidungen, die zu verschiedenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen und zu einer Revisionsoperation mit dem Austausch wesentlicher Prothesenteile geführt hat, Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld i.H.v. 25.000,00 €.

Der Kläger litt an einer schweren Coxarthrose (Hüftgelenksverschleiß) der rechten Hüfte und wurde im Juni 2005 im Loretto-Krankenhaus in Freiburg mit einer ab 2003 von der Beklagten vertriebenen Großkopfprothese versorgt. 

Diese bestand aus einer Hüftpfanne (1), Größe 58 mm, die im Hüftknochen (5) verankert wird, einem Prothesenkopf (2), Durchmesser 52 mm, einem Konusadapter (3), auch Adapterhülse genannt, und einem Prothesenschaft (4). Pfanne und Prothesenkopf bilden die Gleitpaarung. Sie bestehen ebenso wie der Konusadapter aus einer Kobalt-Chrom-Legierung; der Prothesenschaft aus einer Titanlegierung.

In den Prothesenkopf wird außerhalb des Operationsfeldes der Konusadapter mit einem schweren Hammer eingeschlagen (7). Dieser zusammengesetzte Prothesenkopf mit dem Adapter (2+3) wird mittels eines Hammers und eines Aufschlagaufsatzes auf den oberen, konisch geformten Teil des Prothesenschaftes (Titanlegierung) eingeschlagen (4). Da der Prothesenschaft vor diesem Fügeprozess bereits in den Oberschenkelknochen (6) eingeschlagen worden war, erfolgt dieses Einschlagen im Körper des Patienten.

 Skizze Hüftprothese

 

 Obwohl dabei 2 OP-Helfer den Oberschenkelknochen halten, kann dieser beim Einschlagen 2-3 cm nachgeben. Die damals gültige englischsprachige OP-Anleitung der Beklagten enthielt den Hinweis: „Mit einem leichten Schlag des Einschlagwerkzeugs mit Kunststoffaufsatz wird der Metasul-LDH-Kopf auf den Femurschaft montiert“.

Im Oktober 2009 unterzog sich der Kläger einer Revisionsoperation, bei der Pfanne und Kopf der Prothese gewechselt, der Schaft hingegen belassen wurde. Die Operateure stellten zwei große Osteolysen, eine ausgeprägte Bursitis trochanterica sowie eine gräuliche Masse „ähnlich einer Maultaschenfüllung“ und einen schwarz gefärbten Konus mit Kranz fest.

Der Kläger fordert Schadensersatz und Schmerzensgeld.

Das Landgericht hat die Beklagten nach umfangreichen Gutachten zur Zahlung von 25.000,00 € Schmerzensgeld und zum Ersatz weiteren materiellen und zukünftigen immateriellen Schadens verurteilt, den weitergehenden Antrag (weitere 15.000,00 € Schmerzensgeld) hat es abgewiesen.

Hiergegen haben die Beklagten Berufung eingelegt.

Der 14. Zivilsenat hat die Berufungen der Beklagten gegen dieses Urteil nach nochmaliger Anhörung der bereits erstinstanzlich angehörten Sachverständigen zurückgewiesen.

Zur Begründung hat er ausgeführt:

Nach § 1 ProdhaftG hat der Hersteller eines fehlerhaften Produkts demjenigen, der durch den Fehler an seinem Körper oder seiner Gesundheit verletzt wird, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.

Die dem Kläger implantierte Hüftprothese ist fehlerhaft, denn der Verkehr erwartet, dass eine Hüftprothese kein Metall – Abriebpartikel oder Metallionen – in solchen Mengen in den Körper abscheidet, dass diese gesundheitsgefährdend sein können. Etwas anderes gilt nur, soweit solche Abscheidungen zwangsläufig hingenommen werden müssen, wie etwa ein gewisses Maß von Abrieb in der Gleitpaarung. Wenn in der Gleitpaarung allerdings nur wenig Abrieb entsteht, akzeptiert ein Patient nicht, dass stattdessen an anderer Stelle vermeidbare Metallausscheidungen auftreten.

Der gerichtliche Sachverständige hat in der Gleitpaarung keinen nennenswerten Abrieb (8) gefunden, aber durch Messungen am Innenkonus der Adapterhülse (9) ein Verschleiß- bzw. Deformationsvolumen von 6,1 mm³ (1,4 mm³/ Jahr) festgestellt. Bei weiteren beim Senat anhängigen Verfahren liegt der durchschnittliche jährliche Metallverlust bei den Fällen, bei denen es zu Metallverlust gekommen ist, bei knapp über 2,0 mm³.

Skizze Adapterhülse

Die Metallpartikel und -ionen haben nach den Ausführungen der Sachverständigen in der gemessenen Menge im Körper des Patienten gesundheitsschädliche Auswirkungen.

Der Metallverlust am Konus beruht auf galvanischer, elektrochemischer oder Spalt-Korrosion. Diese wird dadurch verursacht, dass die aus verschiedenen Legierungen bestehende Konussteckverbindung bei der Operation mit einer unzureichenden Krafteinwirkung zusammengefügt wurde. Auch wenn die Schadensmechanismen noch nicht abschließend geklärt sind, ist Korrosion die wesentliche Ursache.

Die Korrosion hätte durch eine ausreichende Fügekraft vermieden werden können. Die Beklagten haben selbst in den Jahren 2008/2009 Tests mit dem Ergebnis durchgeführt, wonach bei einer mit 7 kN gefügten Verbindung die Korrosion hätte vermieden werden können. Zwar kann eine sichere Konusverbindung auch mit einer Fügekraft von weniger als 7 kN hergestellt werden, dies aber nur, wenn und solange gute Bedingungen (Schmierung des Gelenks) herrschen.

Die danach grundsätzlich erforderlichen 7 kN - aber selbst 6 kN - sind mit dem in der Einbauanleitung zum Zeitpunkt der Operation des Klägers vorgesehenen sanften Schlag nicht gewährleistet. Ein sanfter Schlag mit einem nicht schweren Hammer reicht nach der übereinstimmenden Feststellung aller Sachverständigen nicht aus, um die erforderlichen 7 kN oder auch nur 6 kN sicher zu erbringen. Damit liegt ein Instruktionsfehler vor.

Ein kräftiger Schlag mit einem schweren Hammer kann dagegen zwar ausreichen, um eine Kraft von 7 kN aufzubringen. Dieses Ergebnis ist aber nicht sicher reproduzierbar (Konstruktionsfehler). Nach einer Studienauswertung liegt die von Operateuren angewandte Einschlagskraft meistens im Bereich von 1-2 kN und nur selten über 4 kN. Ein anderer Sachverständiger geht von 4 - 6 kN aus. Schwankungen könnten sich aber durch den Winkel und das Nachgeben des Körpers ergeben. Angesichts des Umstandes, dass der Schaft während des Einschlagens um bis zu 2 -3 cm nachgibt, kann nach physikalischen Gesetzen die Aufschlagskraft sehr verschieden ausfallen. Ein Privatsachverständiger der Beklagten hat zu einem vergleichbaren von ihm bearbeiteten Problem eingeräumt, dass es hier wie dort schwierig ist, die Kraft genau zu bestimmen, die per Hammerschlag ausgeübt wird. Das kann zwischen 100 N und 8000 N der Fall sein. Auf dem Markt gebe es zwar Geräte, die einen festen Impuls auf den Kopf ausüben können, die benutze nur keiner. Hinzu kommt, dass bei Kräften um die 7 kN die Gefahr besteht, die Knochen zu schädigen.

Der fehlerbedingte Metallverlust war für die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers – mit Ausnahme der Bursitis - und die Revisionsoperation verantwortlich. Dafür spricht angesichts der Umstände der Anscheinsbeweis. Soweit die Beklagten diesen Zusammenhang mit der Behauptung verneinen wollen, das von ihnen in Verkehr gegebene Produkt sei nachträglich durch falschen Einbau oder Reinigung negativ beeinflusst worden, tragen sie die Beweislast.

Die Haftung ist auch nicht nach § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdhaftG ausgeschlossen, denn die Beklagten haben nicht bewiesen, dass der Produktfehler zum Zeitpunkt der Inverkehrgabe des konkreten Produkts im Jahr 2005 nach dem Stand der Wissenschaft und Technik nicht erkennbar war.

Zum Stand der Wissenschaft und Technik gehören nicht nur die allgemein anerkannten Regeln der Technik bzw. die allgemein anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Auch vereinzelte Erkenntnisse können den „Stand" der Wissenschaft und Technik bestimmen. Dabei ist unter potenzieller Gefährlichkeit des Produkts nicht der konkrete Fehler des schadensstiftenden Produkts, sondern das zugrundeliegende allgemeine, mit der gewählten Konzeption verbundene Fehlerrisiko zu verstehen. Auch bei einer Hüftprothese kommt es daher nicht auf die konkrete Gefährlichkeit des einzelnen Implantats, sondern allein auf die Gefährlichkeit der Konstruktion des Prothesentyps an. Dann geht der Hersteller mit dem Inverkehrbringen eine Risikoentscheidung ein, gegenüber deren Folgen er sich nicht deshalb entlasten kann, weil er den Risikoeintritt im Einzelfall nicht vorhergesehen hat. Der Fehler war nach diesen Grundsätzen erkennbar, denn im Jahr 2005 war bekannt, dass aus modularen Steckverbindungen aus verschiedenen Legierungen wegen Korrosionsprozessen Metallpartikel und / oder -ionen austreten können und dies zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen kann. Die unzutreffende Annahme des Herstellers, eine bekannte Gefahr beseitigt oder behoben zu haben, reicht aber nicht aus, um einen sog. Entwicklungsfehler im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdhaftG anzunehmen, für den der Hersteller nicht einzustehen hat. Aus den Erfahrungen bei Kleinkopfprothesen konnte zudem nicht sicher ausgeschlossen werden, dass bei Großkopfprothesen keine Probleme auftreten.

Eine Ersatzpflicht der Beklagten ist auch nicht ausgeschlossen, weil den Beklagten das Zeichen „CE-Kennzeichnung“ zuerkannt worden ist. Dies besagt nicht, dass die potenzielle Gefährlichkeit des Produkts unter Zugrundelegung des im Zeitpunkt seiner Inverkehrgabe objektiv zugänglichen Gefahrenwissens nicht hätte erkannt werden können. Daher ist auch die Frage, ob alle nach dem damaligen Stand vorgesehenen Tests absolviert wurden, für die Frage der Erkennbarkeit nicht von Bedeutung.

Die Entscheidung des Landgerichts zur Höhe des Schmerzensgeldes und den materiellen Schäden hat der Senat gebilligt.

Die Revision wurde nicht zugelassen. Die Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils möglich.

[Pressemitteilung des OLG Karlsruhe, Urteil vom 8. Juni 2020 – 14 U 171/18 - ; Vorinstanz: Landgericht Freiburg, Urteil vom 15.10.2018,  - 1 O 240/10 – ]