Das Oberlandesgericht Karlsruhe wendet erstmals die neue Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an und verurteilt die Herstellerin von Diesel-Pkw zu Schadensersatz wegen der Verwendung eines sog. Thermofensters

Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat am Dienstag eine Pkw-Herstellerin in zwei Fällen wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen in Dieselfahrzeugen zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt. Der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts hat mit diesen Urteilen für die Haftung von Pkw-Herstellern erstmals die bloß fahrlässige Verwendung einer Abschalteinrichtung, hier eines sog. Thermofensters, ausreichen lassen (8 U 86/21 und 8 U 271/21). Der Senat ist damit den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 21.03.2023 (C-100/21) und des Bundesgerichtshofs vom 26.06.2023 (insbes. VIa ZR 335/21) gefolgt.

Bei sämtlichen Fahrzeugen handelt es sich um solche mit 3.0-Liter-Dieselmotoren der Schadstoffklasse EU 5, die mit einem sog. Thermofenster ausgestattet sind. Bei diesem „Fenster“ handelt es sich um einen festgelegten Temperaturbereich, innerhalb dessen die Rückführung von Abgasen in den Motor uneingeschränkt funktioniert. Mithilfe dieser Abgasrückführung werden die Stickoxide reduziert, um den Grenzwert der EU 5-Norm einzuhalten.

In seiner Entscheidung vom 15.09.2023 hat der BGH sich mit den Anforderungen an vorvertragliche Aufklärungspflichten befasst. Konkret ging es um einen Fall, in dem einige Gewerbeeinheiten für 1,5 Mio EUR verkauft werden sollte.

 

Die Verkäuferin versicherte im Kaufvertrag, dass keine außergewöhnlichen Sanierungen bevorstehen, deren Kosten durch die Instandhaltungsrücklage nicht gedeckt sind. Zudem war im Kaufvertrag niedergelegt, dass die Verkäuferin der Käuferin alle Protokolle der Eigentümerversammlungen der letzten drei Jahre übergibt und die Käuferin Kenntnis vom Inhalt der Unterlagen nimmt.  Die Übergabe der wesentlichen Unterlagen sollte folgendermaßen erfolgen: Die Verkäuferin stellt alle wesentlichen Unterlagen in einen virtuellen Datenraum ein, auf den die Käuferin Zugriff erhält. Drei Tage vor Abschluss des Kaufvertrags ergänzte die Verkäuferin die Unterlagen durch Einstellen des Protokolls einer Eigentümerversammlung, aus dem sich ergibt, dass auf die Käuferin Instandhaltungskosten von bis zu 50 Mio EUR zukommen könnten. Die Verkäuferin unterrichtete die Käuferin nicht über die Ergänzung der Unterlagen, sondern stellte diese „klammheimlich“ in den virtuellen Datenraum ein, vielleicht in der Hoffnung, dass die Käuferin diese so kurz vor Vertragsschluss nicht mehr zur Kenntnis nehmen würde.

In Rahmen des Dieselskandals kam es nun zu einerm Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) bezüglich des Schadensersatzes bei Autos mit Thermofenstern. Gemeint sind solche Einrichtungen, welche bei in Deutschland völlig normalen Temperaturen (unter 12 Grad) die Abgasreinigung herunterfahren.

 

Bisang hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Auffassung vertreten, dass die Verwendung der Thermofenster keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung des Verbrauchers darstellen und daher einen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB nicht angenommen.

 

Das EuGH-Urteil bezog sich aber mehr auf die Begründung eines Fahrlässigkeitsvorwurfs, welcher einen Schadensersatzanspruch nach § 823 BGB begründen würde. Voraussetzung für einen Schadensersatz bei fahrlässigem Handeln ist, dass die Norm gegen die verstoßen wird, Drittschutz entfaltet.

 

Eine Norm ist drittschützend, wenn sie nicht nur die Interessen der Allgemeinheit, sondern auch die des Einzelnen, desjenigen, der sich auf sie beruft, berührt. Hier hat der EuGH den drittschützenden Charakter der unionsrechtlichen Vorschriften zu Abgaswerten hiermit begründet, dass jeder Autoverkäufer mit der Übereinstimmungserklärung gegenüber dem Käufer erklärt, dass der Wagen rechtskonform produziert wurde und läuft.

Das Oberlandesgericht Oldenburg hat in einer aktuellen Entscheidung zusammengefasst, unter welchen Umständen der gutgläubige Erwerb eines Fahrzeuges ausgeschlossen ist. Und zwar:

 

Nicht gutgläubig beim Kauf eines Lamborghini ist, wer diesen nachts um 01:00 Uhr an einer Tankstelle vor einem Schnellimbiss gegen Zahlung eines Betrages von € 70.000,00 in bar erwirbt. Die Fahrzeugbesichtigung zwei Tage zuvor erfolgte auf dem Parkplatz einer Spielothek.

 

Der Erwerber hatte nicht lange Freude an dem Fahrzeug, er wurde tags später von dem spanischen Eigentümer auf Herausgabe verklagt. Das Fahrzeug war ein Mietfahrzeug gewesen und von den Mietern nicht mehr zurückgegeben worden. Das Gericht sah vorliegend keinen gutgläubigen Erwerb gegeben, weil die äußeren Umstände sehr zwielichtig seien und die Verkäufer die Berechtigung vom Eigentümer durch Vorlage einer Ausweiskopie, und davon nur die Vorderseite, nachweisen wollten. Der Käufer hätte stutzig werden müssen. Die Sorglosigkeit geht nun mit ihm heim.

 

[OLG Oldenburg, Urteil vom 27.03.2023, Az. 9 U 52/22]

Die Botschaft lautet: „Die Gesetze in Europa sind zum Schutz der europäischen Bürger da“.

 

Waterloo für die Autoindustrie, Dieselskandal 2.0 nennt Felix Zimmermann das Urteil. Er ist Jurist und Chef bei Legal Tribune Online und bezeichnet das Urteil des Europäischen Gerichtshofes als „Revolution in der Dieselskandal-Rechtsprechung. Und er stellt fest: Unionsrecht schützt auch die Einzelinteressen des individuellen Käufers, damit diese Schadensersatz bei Fahrlässigkeit geltend machen können.

 

In der Sache ging es um ein Vorlageverfahren des hiesigen Landgerichts Ravensburg wegen der Bewertung einer möglicherweise unzulässigen Abschalteinrichtung. Bemerkenswert macht das Urteil nicht das Ergebnis als solches, sondern der Weg dahin. Der Europäische Gerichtshof sagt, dass das Unionsrecht neben allgemeinen Rechtsgütern eben auch die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrtzeuges schützt. Nachvollziehbar. Denn Gesetze sind für Menschen da. Es ist aber eine Eigenart in der deutschen Rechtsprechung, dass es bei der Auslegung von Gesetzen immer wieder darauf ankommt, ob eine Norm eine allgemeine Ordnungsnorm ist oder einen individuellen Schutzcharakter hat. Bei vielen Ordnungsvorschriften, wie beispielsweise die Typenzulassung von PKWs, wird genau das abgelehnt.