In der Regel sollten sich Strafverteidiger während  oder vor einem laufenden Verfahren zurückhalten. Nicht so Rechtsanwalt Dr. Felix Dörr, Verteidiger des Angeschuldigten Martin Winterkorn. Die Presseerklärung der Verteidigung, die nachfolgend im Wortlaut abgedruckt ist, ist selbst Zeugnis dafür, so etwas nicht zu tun. Man muss sich fragen, aus welcher Motivation heraus die Presseerklärung erfolgt ist. Wozu ist sie gedacht? Wer soll davon einen Vorteil haben? Martin Winterkorn sicherlich nicht.

 

Zunächst ist die Verteidigung überrascht, dass die Staatsanwaltschaft Anklage erhebt. Das ist aber regelmäßig der Fall, wenn Verdachtsmomente bestehen. Man trägt sich schon, wer deswegen überrascht ist. Oder hat die Verteidigung die Ermittlungen bislang nicht ernst genommen?

 

Wenn man etwas zurückweist, ist es egal, ob man das mit Entschiedenheit tut oder ‘ohne‘ Entschiedenheit.

 

Rechtsanwalt Dörr bestreitet für seinen Mandanten, dass der frühzeitig Kenntnis von dem Einsatz einer verbotenen Motorsteuerungssoftware in US-Diesel-PKW gehabt haben soll. Das sagen Täter öfters, dass sie nichts gewusst haben. Hier gibt es aber Zeugen, die das Gegenteil behaupten. Wenn das so ist, dann wird auch Anklage erhoben. Dann kommt es auf die Zeugenvernehmungen an.  – Was aber in diesem Kontext ganz besonders auffällt ist, wie der Verteidiger sich äußert:  keine Kenntnis von dem gezielten Einsatz“ einer verbotenen Steuerungssoftware. Will die Verteidigung später darauf hinaus, dass der Mandant zwar grundsätzlich Kenntnis von den Manipulationsmöglichkeiten hatte, aber nicht vom konkreten Einsatz? ... Getreu nach dem Slogan: selbstverständlich haben wir nach dem Grundsatz 'Vorsprung durch Technik' die Manipulationssoftware entwickelt. Mir war aber nicht bekannt, dass sie auch zum Einsatz kommt. Ist das die Botschaft dahinter?

 

Dann geht es weiter im Pressetext: „eine Eskalation war für ihn nicht vorstellbar, zumal er Gegenteiliges bis zur Veröffentlichung der Notice of Violation am 18.9.2015 nicht gehört hatte.“  Der konkrete Vorwurf gegen Martin Winterkorn lautet zusammengefasst so:

 

in seiner aktiven Zeit für den VW-Konzern nahm er regelmäßig übers Wochenende Arbeit mit nach Hause. Dafür wurde ihm ein sog. Wochenendkoffer bereitgestellt. Ende Mai 2014 enthielt der Koffer Informationen, die ein Jahr später 2015 Grund dafür waren, dass Martin Winterkorn seinen Vorstandsposten räumen musste. Der damalige Leiter der Qualitätssicherung im VW-Konzern, Herr Frank Tuch, teilte in einem auf den 23.05.2014 datierten Schreiben mit: „Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Winterkorn, in Anlage erhalten Sie die Informationen zu Überschreitungen der Stickoxid-Emissionen bei Real Driving Emissions (RDE)  Tests in den USA. ... Bei den Messungen an den Fahrzeugen ... wurden die NOx-Werte deutlich überschritten – um den Faktor 15 bis 35.“ Ein fast inhaltsgleiches Schreiben legte der Leiter des Ausschusses für Produktsicherheit beim VW-Konzern bei, Herr Bernd Gottweis.

 

Winterkorn bestreitet das. Dann sollte sein Verteidiger den Satz aber anders formulieren: „eine Eskalation war für ihn nicht vorstellbar, zumal er Gegenteiliges bis zur Veröffentlichung der Notice of Violation am 18.9.2015 nicht gelesen hatte.“ oder: davon nichts gewußt hatte. Traut sich da jemand unbewusst nicht zu lügen, indem man eine Vokabel nimmt, die wörtlich genommen durchgeht. Denn niemand hat behauptet, dass ihm jemand etwas gesagt hätte, der Vorwurf geht dahin, dass er etwas zum Lesen erhalten hat. Und Lesen ist Sehen, wenn es kein Hörbuch ist.

 

Gegen Ende der Presseerklärung ist für die Verteidigung nicht nachvollziehbar, wieso die Staatsanwaltschaft weiter an der „Idee festhält“, dass der Mandant die Öffentlichkeit hätte informieren müssen. Hier geht es nicht um eine Idee, sondern um die Feststellung einer erheblichen Straftat. Dies als ‚Idee‘ zu tun wirkt despektierlich, ärgert möglicherweise Staatsanwaltschaft (vielleicht auch das Gericht) und bewirkt in den Köpfen der Verantwortlichen gegebenenfalls eine negative Einstellung gegen den Angeklagten. Deshalb macht man so etwas besser nicht.

 

Es fragt sich, ob der dritte und vierte Absatz bei Gesamtbetrachtung nicht ein ungewolltes Geständnis beinhaltet:

 

Erkannte Probleme (Absatz 3) bedeutet „entdeckt“, also muss sie irgendjemand versteckt haben. Kaum zu glauben ist, dass es der Ingenieur Torge Willomeit  gewesen ist, der einfach mal was Neues ausprobieren wollte.

 

Die Compliance-Vorschriften verlangen, dass bei Abweichungen von der Norm, gerade bei Abläufen und bei Verfahren mit Behörden, die über staatliche Sanktionsmaßnahmen verfügen, jeweils ein ‚worst-case-Szenario‘ durch zu spielen ist und im Zweifel eine ad hoc-Mitteilung zu machen ist und nicht darauf vertraut werden kann, es wird nicht so schlimm. Gerade die einkalkulierte Fehleinschätzung führt zu einem berechtigten Vorwurf. Mit der Kommunismus im Verfahren liefern, werden die eigenen Juristen waren, die unter Berücksichtigung der Compliance-Vorschriften „Entwarnung“ gegeben haben. Selbst wenn, bleibt das Organ regelmäßig haftbar.

 

Zurück zur Ausgangsfrage: für wen ist die Presseerklärung geschrieben? Vielleicht für Martin Winterkorn selbst? Wenn er die Presseerklärung oft genug liest, glaubt er am Ende vielleicht selbst, dass er von alledem nichts gewusst hat: dann hat VW nicht nur den Clean Diesel erfunden, sondern auch das Clean Brain.

 

Zum ‚Wochenendkoffer‘ kann man nachzulesen unter http://www.lawinfo.de/index.php/43-ausgewaehlte-rechtsgebiete/dieselklagen/809-martin-winterkorn-und-der-wochenendkoffer